46 I Mormonentum und Kirche: Meine Gedanken #2

Meine Lieben!
Ich hatte eigentlich geplant, jeden Monat ein Update über meine Gedanken zur Kirche zu schreiben, einfach deshalb, weil ich ja ständig Neues lerne und sich auch meine Gedanken und Sichtweisen verändern. Tja, das ist dann wohl der Zweite haha...
Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass ich auf keinen Fall irgendjemanden in seinen persönlichem Glauben angreifen oder verletzen möchte und nur darüber schreibe, welche Herausforderungen ich persönlich mit der Kirche hier hatte und warum es manchmal schwer war, mich hier einzuleben um hoffentlich zukünftigen Utah-Austauschschülern zu helfen, nicht die gleichen Fehler wie ich zu machen und schneller zu dem Punkt zu kommen, an dem ich inzwischen bin.
Mein Auslandsjahr ist ja jetzt wirklich mehr oder weniger vorbei, ich bin gerade in Kanada aber dazu später mehr. Zur Kirche "hier" hatte ich praktisch vier Phasen.
Phase eins: Oha, wo bin ich denn hier? Aber alles ist interessant und neu und ich sehe alles von einer Distanz.
Phase zwei: Oha, das ist ja schon heftig.
Phase drei: Wo bin ich hier? Ich kann das nicht mehr aushalten. Unverständnis. Frustration. (Die größte Downphase die ich in Amerika je hatte... Wegen Religion... Schon traurig).
Phase vier: Akzeptanz.
Ich würde sagen, dass ich generell immer sehr offen für neue Glaubensrichtungen und Meinungen war. Und das bin ich auch immer noch. Der Unterschied ist: Die Meinung anderer hat nie wirklich mein eigenes Leben beeinflusst. Und hier hat die Sichtweise anderer einfach alles beeinflusst. Ich hatte Angst, mich falsch anzuziehen (zu kurze Sachen), ich habe vor dem Essen gebetet und mich schlecht gefühlt, weil ich das Gefühl hatte vorzugeben, etwas zu sein was ich nicht bin. Ich konnte keinen Kaffee mehr trinken, habe meine Sprache verändert, einfach alles. Ich bin jeden Sonntag drei Stunden zur Kirche gegangen (und Kirche hier besteht nicht nur aus Sitzen und Zuhören). So gut wie alle meine Freunde sind Mormonen. Die Leute möchten ihren Glauben mit dir teilen und, das hört sich jetzt negativ an, ist aber grundsätzlich (in meiner jetzigen Sicht) nur gut gemeint, wollen dich zu ihrem Glauben konvertieren. Hier spielt einfach der Glaube eine riesige Rolle und ist nicht, wie meist in Deutschland, eine sehr private Sache die eigentlich niemand anderen etwas angeht. Die Wahrheit ist, dass ich mich einfach fremd gefühlt habe. Und ich habe nichts mehr versucht, als dazuzugehören und es war einfach wirklich frustrierend, dass mich das so von anderen unterschieden hat. Ich habe Freunde in Deutschland, die eine andere Religion als ich haben, und das war nie ein Problem. Überhaupt nicht. Wieso auch? Aber hier nimmt die Kirche einfach so eine große Rolle im Alltag ein, dass man ständig damit im Kontakt ist.
Generell kann man mit den Leuten hier nicht diskutieren, wenn es um Kirche geht. Einfach weil das alles für sie so wichtig ist, dass sie relativ schnell verletzt sind, und das möchte ich natürlich nicht. Ich würde sagen, für meine Gastmutter und mich war es beide schwer (und ist es immer noch), unsere Leben zu teilen, da ich wirklich frustriert war, die Kirche kein Stück besser zu verstehen und meine Gastmutter (das alles hier ist offensichtlich meine Sicht!!) mich wirklich von Herzen liebt und nicht verstehen konnte, wie ich diesen Lebensstil nicht auf mein eigenes Leben anwenden wollte und generell (schon allein weil ich Deutsch bin, aber auch einfach wegen meinem Charakter) relativ kritisch war und bin und immer gefragt habe, wieso denn was wie sei und das Gefühl hatte, dass in der Kirche einfach vieles ohne Begründung festgestellt wurde und ich das nicht akzeptieren wollte, was vielleicht manchmal als respektlos und misstrauisch gewertet wurde, was mir wirklich Leid tut.
Ich würde sagen, dass sich meine Sichtweise auf die Kirche nicht wirklich groß verändert hat, ein bisschen natürlich, weil ich jetzt einfach mehr weiß und mir mehr Positives als auch Negatives auffällt, aber das, was sich eigentlich verändert hat, ist mein Umgang mit diesen Differenzen.
Wie gesagt, am Anfang war alles interessant und neu und ich habe begeistert gelernt, was es zu lernen gab. Und dann kam ich zu dem Punkt, wo ich mir eine Meinung gebildet habe, könnte man sagen. Ich hatte kein Verständnis mehr für vielen Dinge und habe mich von allem bedrückt gefühlt, da es einen so großen Teil meines Lebens einnahm und ich einfach realisiert habe, dass ich anders bin und mich nicht anpassen kann. Einfach weil meine basic beliefs die komplett andere Richtung sind. Ich habe gemerkt, dass ich mit niemandem wirklich über diese Probleme reden kann, weil ich einfach keine Freunde und Familie hatte, die ähnliche Gefühle hatten. Mit meiner deutschen Familie wollte ich nicht reden, da ich meine Probleme selber lösen wollte und die Gespräche mit meiner Gastfamilie haben sich aufgrund von Frustration auf beiden Seiten als weniger hilfreich herausgestellt und haben unsere Beziehung sogar grundsätzlich verändert, ich habe mich schlecht gefühlt, ihren Glauben anzugreifen, wollte aber auf der anderen Seite nur verstehen. Und dann, irgendwann, relativ spät um ehrlich zu sein, kam ich an den Punkt, wo ich jetzt bin. Kein Verständnis, aber Akzeptanz. Akzeptanz nicht nur für einen anderen Glauben (das würde ich sagen, hatte ich eigentlich schon immer), sondern auch Akzeptanz für den Fakt, dass dieser Glauben, auch wenn ich ihn in vielen Situationen nicht verstehe, mein Leben beeinflussen wird. Und dass es okay ist, anders zu sein. Ich habe davor, da ich wirklich versucht habe zu verstehen, die ganze Zeit über all das was ich gelernt habe nachgedacht. Und das hat mich frustriert, da ich einfach nicht verstehen konnte. Und jetzt bin ich an dem Punkt wo ich mir einfach denke, dass es egal ist. Es ist einfach nicht meine Religion und ich werde es nie verstehen und das ist okay, wisst ihr? Es ist okay. Ich muss mich nicht dafür schämen, anders zu sein. Ich muss nicht versuchen, so auszusehen, als würde ich glauben. Im Endeffekt ist es immer deine eigene Entscheidung, ob du etwas dein Leben beeinflussen lässt, oder nicht. Und wenn jemand fragt, bin ich einfach ehrlich, auf eine freundliche Art und Weise. Und ich glaube, das ist das Wichtigste, was ich in Amerika gelernt habe.
Danke fürs Lesen. Falls euch dieser Eintrag in irgendeiner Art und Weise geholfen haben sollte etc. könnt ihr mir gerne eine persönliche Nachricht schrieben oder unten kommentieren, mich würde es wirklich interessieren.
Vielen, vielen Dank. Ich glaube, das ist der wichtigste Post den ich je veröffentlicht habe und ich hoffe, dass ich meine Gefühle richtig übermitteln konnte.
Lara



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